Ich such’ mir eine neue Kirche (1): Nach dem Gottesdienst.

Ein Paar Mitte Dreissig, er mit eher schütterem Haarwuchs, Bluejeans, glänzendes Lederschuhen und einem Samtjacket, sie mit elegantem Blazer, Bluse, Jeans und bequemen Latschen, macht sich auf dem Heimweg. Es ist 12.20 Uhr, Sonntagmittag; sie hatten den zweiten Morgengottesdienst um 11.00 Uhr besucht. Der Abschied war kurz, hier und da ein „Tschüss“, und dann war man auf dem Weg zum Wagen. Dank dem neuen Parkhaus in der Nähe eine Wegstrecke von drei Gehminuten. Hören wir den beiden zu. Ich glaube, sie sind daran, den Gottesdienst zu verarbeiten.

– Lange mache ich das nicht mehr mit. Ich schwör’s.

– Schwören darf man zwar nicht, aber ich pflichte dir bei.

– Immer das gleiche. Da reisst du dich sonntags aus dem Nest, kommst pünktlich an, setzt dich in den vollen Raum, und gleich zieht sich dir der Magen zusammen.

– Genau. Der Lobpreis ist einfach nicht mein Stil. (Ein zweites Paar gesellt sich dazu, etwa fünf Jahre jünger geschätzt, urbaner Style, wahrscheinlich trifft man die vier abends im Palais oder im Kino an) Na ja, wenn es nur die Musik wäre. Die machen Gitarrenrock wie in den Achtzigern. Da wird alles runtergebrettert. Das könnte man ja noch ertragen. Aber dann: Das lange obligate Einstiegsgebet. Wenn ich mir dessen Gott vorstelle, so kommt mir halt doch der Polizist mit der Leuchtkelle und der Trillerpfeife in den Sinn. Nur erschrecke ich etwas mehr, wenn die Pfeife unerwartet ertönt.

– Dann die ersten Ansagen. Kleingruppe, Tanzen für die Pensionäre, Töpfern für die praktisch Begabten und natürlich der neuste Stand zum Zweitgebäude. Leider hat der Herr die letzten 300‘000 noch nicht schneien lassen.

– Und dann kommt die Predigt: Geschlagene 45 Minuten Eintopf. Gott ist gut, er vergibt, er umgibt dich, er versorgt dich. Aber pass auf, die nächste Prüfung wartet bestimmt nach der nächsten Kurve. So ganz ohne bekommst du dein Himmels-Ticket nicht. Das ständige „aber“, die versteckten Hinweise auf Fallen. Diese negative Schelte. Das verdirbt mir gleich die Weekend-Laune.

– Klar, wenn es nur die Rhetorik wäre, könnte ich ja noch mitmachen. Doch ich verschliesse mich innerlich. Vom ersten Wort des Gebets bis zum Amen nach der Predigt: Nur Sauerkraut und Salzkartoffeln.

– Da gehst du hinterher raus und denkst: Warum bist du bloss gekommen? Das passt einfach nicht mehr. Wo ist da der Geist? Die reden vom Bauvorhaben wie im Baudepartement, Bürokratenkammer 27. Die lesen aus der Bibel, als ob mein Gott den ganzen Tag verstimmt wäre über seine unfolgsamen Kinder.

– Wir müssen uns was anderes suchen. Was machen wir uns länger den Stress? Gute Gemeinschaft kann ich übrigens auch ausserhalb der Kirche haben. Ein gutes Gespräch gibt’s nicht nur in der Kleingruppe – gut, vielleicht noch eher in der Kleingruppe als beim freundlichen Nicken nach dem Gottesdienst.

– Da muss einfach mehr drinliegen. Unser Gott ist ein Gott der Liebe. Er schenkt Freiheit, Weite. Er baut auf.

Wir verlassen die vier, die mittlerweile bei ihren Autos angekommen sind. Ein paar Fragen hätten wir schon. Doch ich glaube, dass dies der falsche Zeitpunkt wäre. Schliesslich haben einen Vierertisch im Restaurant gebucht. Was sie wohl bei der nächsten Mitarbeiter-, äh Gottesdienstbesucher-Umfrage einlegen werden? Müssige Frage. Wahrscheinlich werden sie bereits am Welcome-Drink in der neuen Gemeinde nippen.

3 Kommentare

  1. Hi!
    Solch eine Situation kommt mir (aus der eigenen Gemeinde) leider sehr bekannt vor. Ich muss da immer denken: Die Postmoderne stellt teilweise berechtigte Fragen und kritisiert teilweise berechtigt, aber findet die falschen Antworten (weil man auf der anderen Seite vom Pferd fällt).
    Übrigens hab ich schon oft gedacht, aber noch nie gesagt bzw. geschrieben: Dieser Blog gefällt mir sehr gut. Neben Theoblog einer der Lesenswertesten. Was ihn auszeichnet, sind natürlich die Beiträge “Der fünfte Bub”. Die lese ich gerne meiner Frau vor :)
    Und: Ich bewundere, dass man heutzutage ohne Auto auskommen kann. Das geht wahrscheinlich nur in der Schweiz… ;)
    Liebe Grüße,
    Walde

  2. Ziehmlich auf den Kopf getroffen, wer hat nicht schon mal mit dem Gedanken gespielt, dass der Wechsel in eine neue Gemeinde die ersehnte Abwechslung oder den Ausbruch aus dem gewohnten Trott bringen wird. Interessant finde ich, dass diese Krise alle mal trifft, ganz egal ob sie aktiv in der Gemeinde integriert sind oder nicht. Ich selber kämpfe auch immer wieder damit, glaube aber dass solche Grenzmomente auch eine Chance sein können – sich selber und seine Einstellung zu ändern. Denn wer möchte nicht von einer Begeisterung angesteckt werden? Erneuerung beginnt bei jedem Einzelnen…da kommt mir der Songtext von Anointed “Revive us again” in den Sinn, wir alle brauchen Erneuerung – durch Gott wird es möglich.

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