Schlüsselerlebnisse mit Kindern (27): Abschied in Raten – wie sieht eine gesunde Loslösung von unseren Kindern aus?

Von einer lebenserfahrenen Grossmutter und Mütterberaterin haben wir als frischgebackene Eltern einen wichtigen Hinweis bekommen. Sie sagte uns sinngemäss, dass das Kind im Bauch eng gehalten werde und dann aus der absoluten Geborgenheit in diese Welt hinaus komme. Darum sei es sinnvoll, das Kind am Anfang nahe bei sich halten, das heisst für Kontinuität in dieser Geborgenheit zu sorgen. Diese Nähe ist sowohl körperlich (es wird „gehalten“) und auch geistig und geistlich. Das heisst, wir Eltern wachen nicht nur über der körperlichen, sondern auch über der geistigen Versorgung des Kindes. Gleichzeitig hat mit der „Abnabelung“ die Loslösung begonnen. Schritt für Schritt bekommt das Kind mehr Raum, das heisst einen grösseren Aktionsradius und damit auch mehr Verantwortung. Ich denke, dass in vielen Leben von Kindern einige grobe Brüche in der Loslösung stattfinden, welche ein gesundes Selbständig-werden erschweren. Beispielsweise fällt mir auf, dass manche Eltern ihre Kinder ab Kindergarten richtig gehend „hinausstossen“ (in gewisser Weise findet das schon früher statt, wenn Kinder im Baby- und Vorschulalter über weite Strecken ausserhalb der eigenen Familie betreut werden, siehe „Sozialisierungsbotschaften von Kindertagesstätten“). Das heisst, das Kind wird von einem Moment auf den anderen praktisch unvorbereitet in einen sprunghaft grösseren und ungeschützteren Raum gestellt. Die einen verkraften das problemlos, andere bekunden mehr Mühe. Beispielsweise ist nachgewiesen, dass der Stressspiegel von fremdbetreuten Kindern bereits am Morgen stark ansteigt (siehe dieser Post). In späteren Jahren wird die durch die innere Ablösung von den Eltern entstandene Primärbindungslücke durch die instabile, weil unberechenbare Bindung an die gleichaltrige Bezugsgruppe ersetzt. Ich bin überzeugt, dass durch den gesellschaftlichen Konsens „Sozialisierung durch Gleichaltrige“ die gesunde Loslösung und Selbständigkeit im Erwachsenenalter wesentlich erschwert wird. Ich erlebe in der Erwachsenenbildung und Beratung viel e Männer, die nicht erwachsen sind. Sie übernehmen für sich und für andere nicht die Verantwortung, die ihrer Lebensphase entsprechen würde (mehr dazu im ausgezeichneten Buch „Future Men“ von Douglas Wilson). Ihnen fehlt zudem oft eine positive Vaterfigur, genauso wie ein erwachsenes Verhalten den Eltern gegenüber.

Nach diesem kleinen Ausflug zu meiner Familiensituation. Ich ringe darum, meinen Söhnen Schritt für Schritt mehr Raum zuzugestehen und ihnen damit auch mehr Verantwortung zu übergeben. Thomas Schirrmacher hat diesen Prozess am Beispiel der Jünger Jesu sehr anschaulich aufgezeichnet. Jesus lebte eine Zeit ganz bei ihnen. Er durchlebte und diskutierte alle anfallenden Fragen und Herausforderungen. Sie erlebten seinen Dienst und stellten ihm manche Fragen. Mit der Zeit begann Jesus, einzelnen Jüngern Aufträge zu erteilen, die sie in seiner Gegenwart und mit seiner Rückmeldung ausführten. Noch etwas später schickte er sie zu zweit für eine Zeit aus, um sie dann wieder zu sich zurück zu nehmen. Nach seinem Tod und seiner Auferstehung schliesslich schickte Jesus sie als seine Nachfolger und Stellvertreter in die Welt hinaus. Was heisst das nun auf die Familie heruntergebrochen? Einige Beispiele: Im Sommerurlaub fuhr mein Ältester erstmals eine Woche in ein Singlager nach Deutschland. Wir haben mit ihm verschiedene mögliche brenzlige Situationen vorbesprochen, mit ihm mögliche Reaktionen überlegt und ihn schliesslich mit Gebet geschickt. Oder wir haben ihm ein Fahrrad gekauft, mit dem er nun gewisse Strecken nach Absprache selber abfährt. Wir haben unsere beiden Ältesten auf immer längere Strecken alleine losgeschickt. Das gleiche findet im geistigen und geistlichen Bereich statt: Wir geben grössere Aufträge zum Lernen, die sie sich selber einteilen und ausführen. Durch das selbständige Arbeiten stossen sie an Grenzen. Sie merken, dass sie ihre Zeit gut einteilen müssen, um zum Ziel zu gelangen. Eine sorgsame Vor- und Nachbesprechung über Erfolgsmomente wie Krisensituationen gehört dazu. Genau gleich leite ich meine Söhne Schritt für Schritt dazu an, selber die Bibel zu erkunden und das Lesen in ihren Tagesablauf zu integrieren. Auch hier frage ich nach. Ich lasse mir die gelesenen Abschnitte nacherzählen, frage nach Hindernissen, Überraschungen, nach der Relevanz des Gelesenen. In all diesem tastenden Vorwärtsgehen als Vater ist mir bewusst, dass ich täglich auf seine Gnade angewiesen bin. Gottes Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung. Diese Schwachheit wird mir eben in diesem Bemühen besonders bewusst. Paulus, der diese Aussage machte, gibt uns wahrlich kein Alibi für Resignation oder Hände-in-den-Schoss-legen. Er rackerte sich ab – im Vertrauen darauf, dass sein Herr ihm das schenken würde, was er für den nächsten Augenblick benötigte.