Drei aktuelle Erziehungsratgeber: Bernhard Bueb (1)

Bernhard Bueb. Lob der Disziplin. Eine Streitschrift. Ullstein: Berlin, 2011. 180 Seiten. 18 Euro (7,99 Euro für Kindle). 

Bernhard Bueb, der 30 Jahre die Eliteschule „Schloss Salem“ geleitet hatte, liefert mit seiner Streitschrift "Lob der Disziplin" einen engagierten Beitrag zur laufenden Debatte im deutschsprachigen Raum. Seine These lautet:

Der Erziehung ist vor Jahrzehnten das Fundament weggebrochen: die Anerkennung von Autorität und Disziplin.

Gleich einem Schiff ohne Kompass gleite die Erziehung der heranwachsenden Generationen dahin. Er fordert Disziplin gepaart mit Fürsorge und den Ersatz des Lustprinzips durch das Leistungsprinzip.

Von welchen Grundannahmen geht Bueb aus? Er sieht Erziehung als Werteerziehung, die einem Menschenbild folgt. Sein Menschenbild beschreibt er wie folgt: „Wir können nur den Weg der Aufklärung gehen. … Die Werte der Aufklärung sind nichts anderes als säkularisierte christliche Werte.“ Bildung vollendet aus dieser Sicht die Erziehung. Und: Konsequente Erziehung benötige Zeit – informelle, ungeplante Zeit. Die Härte von Konsequenz werde durch Humor – nicht zu verwechseln mit Ironie – gemildert.

Was sind die Thesen Buebs?

  • Freiheit erwirbt man durch Disziplin. „Freiheit ist mehr als Unabhängigkeit, sie bezeichnet den Willen und die Fähigkeit, sich selbst ein Ziel zu setzen, dieses Ziel an moralischen Werten auszurichten, mit dem eigenen Leben in Übereinstimmung zu bringen und konsequent verfolgen zu können.“ In der Schule dürfe daher nur Freiheit gewährt werden, wenn die Schüler durch die Ordnung des Materials und vorgeplante Wegstrecken geführt würden. Er distanziert sich aber von einer reinen Angebotspädagogik: Statt dem Glück der Animation fordert Bueb das Glück der Anstrengung.
  • Alle Macht gehört den Eltern: Die Macht der Eltern bedeute Schutz für die Kinder. Sie fühlten sich geborgen, weil sie ihre Eltern als mächtig erlebten. Die Jugendlichen würden sich nach Autorität sehnen, die ihnen Orientierung und Halt geben. „Alle Einrichtungen der Bildung und Erziehung … beruhen auf dem Prinzip der Unterordnung unter eine Autorität.“
  • Disziplin wirkt heilend: Ein Kind findet durch Disziplin seinen Weg von der ich-zentrierten Anspruchshaltung zurück in die Normalität.
  • Man muss nicht immer über alles diskutieren: An die Stelle der Erziehung sei längst die Diskussion getreten. „Wir haben das Leben von Kindern und Jugendlichen radikaler demokratisiert als das Leben der Erwachsenen.“  Mit dem „gleich“ suchten die Kinder nach Zeitgewinn und Beruhigung der Erwachsenen. Diesen werde durch die ständigen Diskussionen Zeit und Energie gestohlen. Genau diese Energie müsse aber für wesentliche Themen investiert werden.
  • Unordnung bringt frühes Leid: Ordnung bilde das Fundament menschlichen Lebens. Diese äussere Ordnung führe zu innerer Ordnung. So bildeten Rituale das Fundament des Aufwachsens. Manieren und Umgangsformen müssten zur zweiten Natur werden. Bueb benennt auch die Prioritäten der Ordnung: Noch vor der Ordnung im Zimmer müssten geordnete Beziehungen und Umgangsformen stehen.
  • Gerechte Erziehung beinhaltet Strafe: Eine gerechte und wirksame Strafe werde im Vorfeld mitgeteilt. Durch das Vollziehen würden Massstäbe gesichert. Strafen wirken nur dann, wenn Gewissheit herrsche, dass Regelübertretungen entdeckt werden. Dies bewirke Furcht (Befürchtung vor etwas Konkretem) statt einem diffusen Angstgefühl (als erdrückendem Gemütszustand). Jede Urteilsfindung benötige Zeit, erfolge im Spiegel einer allgemeinen Regel, bleibe aber in sich ein individueller Fall.
  • Die Familie ist nicht alles: In der heutigen Klein- bzw. Restfamilie drehe sich alles um die Wünsche des einzelnen Kindes. Mütter stellten sich ganz und gar in den Dienst ihres Kindes. Deshalb bräuchten die Kinder gestaltete Gemeinschaften, um mit Gleichaltrigen zu wachsen und der Überfürsorge der Mütter zu entrinnen. „Unternehmungen in der Gemeinschaft, geführt von Erwachsenen, begeistern Jugendliche und locken sie aus der Passivität ihrer Konsumwelt.“ Ein wesentlicher Teil der Bildung sei die Durchführung gemeinsamer Tätigkeiten.
  • Kinder entwickeln sich durch das Spiel: Das Spiel sei ein zentrales Vehikel einer bewussten Erziehung. Dort darf gewagt, erprobt, Grenzerfahrungen gemacht und gescheitert werden. Im Theaterspiel z. B. komme das schüchterne Kind aus sich heraus. Spiel sei „zweckfreie Tätigkeit und erlaubt die spielerische Einübung der Freiheit“.

Wie ist Bueb zu beurteilen? Offensichtlich hat er ein Manko in der Erziehung festgestellt – das der Disziplinierung. Fehlende Korrektur kann charakterliche Fehlentwicklungen nach sich ziehen. Das stellt auch Salomo in den Sprüchen fest (Spr 20,11; 22,6; 22,15; 23,13; 29,15).

Bueb deklariert als Basis seines Denkens säkularisierte christliche Werte. Er stellt jedoch auch schnell sein Ziel klar: Seine Forderung ist der Ersatz des Lust- durch das Leistungsprinzip.  Hier stellt sich die Frage: Wird damit nicht eine Art der Selbsterlösung durch Leistung gelehrt? Bueb verspricht Freiheit durch das Erreichen von Zielen. Doch worauf ist dieses Ziel gerichtet? Durch das Ausklammern von Gott muss dieses in sich selbst gefunden werden. Damit wird der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen.

Fairerweise muss ich hinzufügen: Bueb anerkennt durchaus auch Elemente der Freiheit wie Humor, Zeit und Spiel. Und er erkennt den Wert einer Gemeinschaft, die Halt gibt und korrigiert. Er setzt jedoch den Schwerpunkt auf die Autorität und auf Unterordnung. Hierzu ist aus christlicher Sicht einschränkend zu sagen: Eltern haben nicht alle Macht, sondern nur die, welche ihn von Gott zugewiesen ist.

Bernhard Bueb studierte Philosophie und katholische Theologie in München und Saarbrücken. 1968 promovierte er in Philosophie. Mehrere Jahre war er als Assistent tätig, unter anderem bei Professor Hartmut von Hentig an der Universität Bielefeld.