Buchbesprechung: Eine monumentale Augustinus-Biographie (I)

Peter Brown. Johannes Bernard (Herausgeber). Augustinus von Hippo. Sociëtäts-Verlag: Frankfurt, 1973. 499 Seiten. Antiquarisch ab 11 Euro.

Was für eine Freude, eine grossartige Biografie des einflussreichsten Mannes in der Kirchengeschichte besprechen und überdenken zu dürfen. Ich gehe diese Aufgabe mit Respekt an. Damit sie vom Umfang und von der Dichte her einigermassen lesbar bleibt, beschränke ich mich auf folgende Aspekte:

  • Wichtige Aspekte aus dem Lebensverlauf und dem damaligen Umfeld
  • Erhellende Informationen zur Persönlichkeit von Augustinus inkl. dreier Beispiele für gekonnte Darstellungen von theologischen Inhalten
  • Anklänge an und Parallelen zur heutigen Zeit
  • Hinweise auf Zitate aus der Primärliteratur

Lebensverlauf und Umfeld

Brown gliedert das Buch sinnvoll nach Lebensphasen von Augustinus in fünf Teile: Jugend, Ausbildung und erste Erfolge in Karthago (354-385), die Stationen in Mailand, Cassiciacum, Tagaste und Hippo (386-395); Bischof in Hippo (396-409); Magnum opus „Der Gottesstaat“ und sein Kampf gegen Pelagius (410-420); sein Kampf gegen Julian und die letzte Zeit (421-430). Zu einer Übersicht geht es hier.

Augustins lebte in einer Zeit „schneller und dramatischer Veränderungen“ (7). Rom befand sich im Umbruch. „Wie es jedoch so oft geschieht, hatte sich diese Welt am Rande ihrer Auflösung in dem Glauben breitgemacht, dass sie ewig bestehen würde.“ (21)

In den Bekenntnissen erinnert sich Augustinus daran, dass sein inneres Leben „von einer Gestalt beherrscht“ wurde, nämlich von seiner Mutter Monika (24). Er genoss eine Ausbildung zum Redner. „Das Ziel war, sich an der zeitlosen Vollendung einer antiken Klassik zu messen.“ (30) Neun Jahre lang war A. „Hörer“ unter der Manichäern, einer von der Gnosis beeinflussten Offenbarungsreligion der Spätantike.  Brown deutet diese Hinwendung als religiöse und intellektuelle Emanzipation (41). Schon als Manichäer scharte A. eine „Kernschar treuer Freunde“ um sich (52).

Augustinus siedelte 375 nach Mailand über. Diese Stadt bedeutete für ihn „neue Interessen, neues Studium und grosse Aussicht auf Erfolg“ (61). In Mailand wurde er gefesselt durch die Predigten von Bischof Ambrosius, deren zutiefst überweltlicher Zug ihn nicht mehr in Ruhe liess und ihn zeitlebens prägten (70). Der heidnische Platonismus war für Augustinus eine grosse Alternative, die er für kurze Zeit in Erwägung zog, ihn aber zeitlebens verfolgte (88).

386 stellte ein Wendepunkt in der Karriere von Augustinus dar. In diesen spannungsreichen Monaten zeigte Augustinus die „körperlichen Merkmale eines Nervenzusammenbruchs“ (93). Es folgte eine Zeit „düsterer Erforschung seiner Schwächen“ (100), nachdem er sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte. Nach einer Zeit des Lebens „in Abgeschlossenheit am Rande einer Gesellschaft intellektueller Laien“ kehrte er direkt in den „Schatten des geordneten Leben der katholischen Kirche“ zurück (114).

Als Bischof von Hippo musste er später die „ständige Aufgabe des Schiedsspruchs“ wahrnehmen. Wichtig war die Fähigkeit, „einem verwickelten Fall schnell auf den Grund zu kommen und eine feste und klare Regelung im Licht christlicher Prinzipien zu treffen“ (169). Augustinus war sich bewusst, dass er in der Kirche „wahrscheinlich mit dem berüchtigtsten Gauner der Nachbarschaft in Tuchfühlung“ kommen würde (185). Welches Verhältnis zur umgebenden Kultur prägte ihn? In der Auseinandersetzung mit den Donatisten vertrat er die „Haltung einer Gruppe, die auf ihre Kraft vertraut, die Welt zu absorbieren, ohne dabei ihre Identität zu verlieren“ (186). Er glaubte, dass „sich die Kirche mit der menschlichen Gesellschaft als Ganzer zugleich ausbreiten würde, dass sie die bestehenden Bande menschlicher Beziehungen absorbieren, verwandeln und vervollkommnen würde“ (194). Das spätere Edikt gegen die Donatisten betrachtete er als „Akt der Vorsehung“ (204), ihre Verfolgung als „kontrollierte Katastrophe“ (206). Die neuen kaiserlichen Gesetze zwangen ihn vollends „ans Ruder – erstmals als einflussreiche Ortspersönlichkeit“ (211).

Wie musste man sich die Gemeinde von Augustinus in Hippo vorstellen? Die Menschen waren „fest verwurzelt in lang bestehenden Haltungen, in Lebensweisen und Gedankengängen, denen das Christentum eine Randerscheinung war. Unter solchen Menschen erlitt die allesfordernde Botschaft des Augustinus eher das Schicksal eines Flusses, der in ein verzweigtes Bewässerungssystem fliesst.“ (215) Er hatte die Möglichkeit, seiner Herde mit Androhung von ewigen Strafen entgegen zu treten. Er sagte ihnen: „Selbst voll Furcht, erfülle ich euch mit Furcht.“ (zit. S. 218) Seine Gemeinde war gegenüber Untreue und Unzucht erstaunlich gleichgültig, für Diebstahl und Trunksucht hatte man jedoch ein scharfes Auge (219).

In Augustinus‘ Altersschriften „finden wir scharfsichtige Betrachtungen Seite an Seite mit dem Ausdruck politisch gefärbter Interesse, das überlegte Trachten seiner eigenen Autorität in einer Atmosphäre der Krise, vermischt mit einer steigenden Beschäftigung mit wesentlichen Themen, mit Schuld und Leiden, Alter und Tod.“ (253-254) Der alte, mit Krankheit geplagte Mann hielt Predigten, „über die Zukunft in einer Himmelsstadt“. Sie haben den Tonfall eines Mannes, „der mit elementaren Hoffnungen und Ängsten in Berührung gekommen war.“ (260)

Die letzte Etappe des Lebens von Augustinus war nicht etwa von einem ruhigen Ausruhen auf seinem Lebenswerk, sondern von einem grundlegenden Kampf um die Errungenschaften gekennzeichnet (309). Sein Kampf gegen den jungen, gut gebildeten Julian „repräsentiert eine Gipfel römischer Zivilisation. Was er in Gott verteidigte, das war die Vernunftmässigkeit und allgemeine Kraft des Gesetzes.“ (343) Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in er seiner Bibliothek, um sein literarisches Werk in Ordnung zu bringen (374-75).

Die Persönlichkeit von Augustinus

Augustinus, bewundert wegen seiner Fähigkeit verbale Feuerwerke zu entfalten, „brauchte die Kontroverse“. „Er gedieh erst in der Selbstrechtfertigung.“ (18) In seinen Bekenntnissen macht er klar, dass „die Entwicklung des ‚Herzens‘ der wesentliche Stoff einer Autobiografie ist“ (23). Brown vermutet, dass seine Hinwendung zu den Manichäern für ihn deshalb notwendig war, um sich „in seinem Innern eine makellose Oase der Vollkommenheit zu bewahren“ (43). In seinen Freundschaften verhielt sich Augustinus stets dominierend (54), auch wenn er sie in seiner Umgebung benötigte (158), nämlich für Antwort und Bestätigung (173). Er gelangte zur Überzeugung, „dass ein durch philosophische Methoden geschulter Geist schöpferisch innerhalb der überkommenen Orthodoxie der Kirche denken könne“ (96). Die einzige Alternative zum Ideal des „neoplatonischen Einsiedlers“ war für ihn „das aktive Leben eines katholischen Bischofs“ (115). Für seine Gemeinde „war und blieb Augustinus der Mann, der alles wusste“ (123). Er besass „die zähe Fähigkeit, eine Intuition, die bereits bruchstückhaft und verschwommen im Geiste seiner Zeitgenossen umtrieb, präzise und zwingend im Detail auszuarbeiten“ (133).

Wie Brown feststellt, wurden Augustinus’ geistige Interessen in einem stetigen Wandlungsprozess „durch seine neuen Pflichten überformt“ (177). Die Auseinandersetzungen schoben sich in den Vordergrund. „Was er für die objektive Wahrheit hielt, darauf konnte er mit bemerkenswerter Einfalt seiner eigenen Streitsucht bestehen“ (180-81). Im Zuge seines Kampfes gegen die Donatisten entfaltete er einen „harten Journalismus“ (201).

Was sagte Augustinus über seine Predigten? „Nichts kann besser, nicht süsser für mich sein, als den göttlichen Schatz zu durchforschen ohne Lärm und Gedränge, das ist’s was süss und gut ist. Predigen zu müssen, schelten, ermahnen, erbauen, sich für jeden einzelnen von euch verantwortlich fühlen – das ist eine grosse Bürde, eine schwer auf mir liegende Last eine harte Arbeit.“ (zit S. 224) Aus eigener Erfahrung schrieb er: „Denn so gross ist die Tiefe der christlichen Schriften, dass ich selbst wenn ich versuchte, sie und nichts anderes zu studieren von Kindheit an bis ins hinfällige Alter, und damit mit äusserster Musse, unermüdlichstem Eifer und grösserem Talent, als ich es besitze, immer noch Fortschritte machen würde im Entdecken ihrer Schätze…“ (zit. S. 230) Dabei ist zu bedenken, dass Augustinus kein Griechisch konnte und von lateinischen Übersetzungen abhängig war.

Augustinus schrieb unermüdlich. Als Bischof war er gezwungen, schnelle Antworten auf grosse Fragen zu geben (240). „So ein ständiges Ausgiessen war einem riesigen Strom zu vergleichen. Leicht kann man die Schnelligkeit beobachten, mit der er vorbeifliesst, und ist beeindruckt von den endlosen Variationen seiner Strudel…“ (244-245). Manchmal „traf er sprunghaft Entscheidungen, noch ehe er alles gelesen hatte, was ihm zugeschickt worden war.“ (302) Seine Kämpfe focht er leidenschaftlich aus, mit der Zeit wurde er „ein hart gewordener Streiter. Seine Werke gegen Julian haben die kalte Kompetenz eines alten, müden Mannes.“ (336)

Fortsetzung folgt